Menschen aus Versehen

Singapur, 2014

Der Kunsthistoriker Peter Geimer entwickelte in seinem Buch „Bilder aus Versehen“ die These, dass eine Fotografie vor allem dann auffällt, wenn ihre Transparenz unterbrochen wird. Das heißt, die Sichtbarkeit einer medialen Störung wie zum Beispiel ein technischer Defekt bei der Aufnahme oder ein handwerkliches Missgeschick beim Druck des digitalen Bildes führt zur „materiellen Wahrnehmung“ der Fotografie. Diese Störungen qualifiziert Geimer nicht als Defizite oder negative Modi des Bildlichen, im Gegenteil er sieht darin ein spezifisches Potential der Fotografie, nämlich ihre „Sichtbarkeit durch Zerstörung“.

Dieser Denkansatz führte mich zu der Idee, im eigenen fotografischen Prozess solchen Irritationen nachzugehen. Auf der Suche nach diesen Störungen stieß ich immer wieder auf einzelne menschliche Personen in meinen Fotos, die ich auf Grund ihrer Flüchtigkeit oder geringen Größe beim Aufnahmezeitpunkt gar nicht wahrgenommen hatte. Erst bei der späteren Retusche fielen sie mir als vermeintliche Mängel auf und fielen dem digitalen Stempel zum Opfer. Aber sind es nicht gerade diese Störungen, diese Flüchtigkeiten oder „kleinen Pannen“, die das Besondere eines Fotos ausmachen, die den Augenblick der fotografischen Aufnahme in Erinnerung rufen? Braucht es nicht gerade diese Irritationen, um das Foto als Spur der Geschichte wahrzunehmen? Eine zunächst unbemerkte und erst beim zweiten Blick präsente menschliche Person im Bild hält mich zu der Frage an: Wohin führt sie ihr eiliger Schritt? Was wird sie am Ziel erwarten? Hat sie den Prozess des Fotografierens wahrgenommen?

Erst mit diesen Fragestellungen gibt die Fotografie Rechenschaft von Raum und Zeit oder mit Benjamin formulierte: Gerade diese Irritationen offenbaren das winzige Fünkchen Zufall, das Hier und Jetzt, mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter durchsegnet hat.